16. Mai 2013

Rhythmen spüren und leben

(C) Uli Feichtinger, 2011
In seinem Artikel "Archetypal Practices for Collective Wisdom" stellt Thomas Hurley jeweils eine Yin- und eine Yang-Praxis vor, die sich ergänzen bzw. gegenüber stehen. Im Mittelpunkt seines Diagrammes steht: "Playing the Game magically"! :) Eines der Yin-Yang-Paare, die er anführt, ist "Ziele erreichen – den Rhythmus spüren".


Über "Ziele erreichen" brauche ich heute nicht zu schreiben – dazu gibt es genug Literatur. Diese Yang-Qualität ist in unserer Leistungsgesellschaft sehr wichtig und wird hoch geschätzt. Als Kollektiv haben wir in den letzten Jahrzehnten hervorragend bewiesen, dass wir gut gelernt haben, Ziele zu erreichen (wenn wir das wollen).

Was wir als Gesellschaft darüber verloren haben, ist die Verbindung zum eigenen Rhythmus, aber auch zum Rhythmus des Tages, des Monats, des Jahres, der Generationen. Auf der körperlichen und psychischen Ebene sehe ich BurnOut als ein Ergebnis von konstantem gegen-den-eigenen-Rhythmus-Leben an.

Was ist das denn eigentlich, der eigene Rhythmus?

Ich persönlich zum Beispiel fühle mich am wohlsten, wenn ich einen Schlafrhythmus von Mitternacht bis ca. 8 Uhr morgens habe, das ist mein Rhythmus, den ich für mich erkannt habe. Familien-, Arbeits- und Schulstruktur machen mir diesen Rhythmus derzeit nicht möglich und ich spüre, das es mich Kraft kostet, mich an den von anderen Vorgaben geprägten Ablauf zu halten.

Ein lieber Freund der Familie ist als Wissenschaftler tätig und kann seinen Tagesablauf sehr frei einteilen. Er frühstückt zu Mittag und arbeitet bis Mitternacht. Das ist sein Rhythmus, mit dem er sich wohlfühlt und den er großteils leben kann. Für wichtige Vormittagsmeetings macht er dann mal eine Ausnahme! :)

Vielleicht merkst du es an dir selbst, dass du jetzt, wo die Tage länger werden, weniger Schlaf brauchst? Dass du dich im Sommer aktiver fühlst als im Winter? Oder du kennst deinen Biorhythmus und weißt daher, zu welchen Tageszeiten du leistungsfähig bist und zu welchen Tageszeiten du dir besser nichts Wichtiges vornimmst.

Wenn du eine "rote" Frau bist (also eine Frau im gebärfähigen Alter), dann weißt du um die ganz normalen Leistungsschwankungen im Verlaufe eines Monatszyklus. Auch hier hat jede Frau ihren ganz persönlichen Rhythmus. Christiane Northrup führt in ihrem Buch "Frauenkörper.Frauenweisheit" PMS, das Prämenstruelle Symptom, u.a. darauf zurück, dass wir Frauen in der heutigen Gesellschaft verleitet sind, unseren natürlichen Rhythmus zu verbergen, zu übergehen, zu verheimlichen, etc.

Der Tag, das Jahr, das Leben zeigt uns den Rhythmus von Werden, Blühen, Vergehen und Rasten an. In der Leistungsgesellschaft, in der wir leben, wird jedoch ein Unterschied gemacht: Leistung erbringen ist besser / wichtiger / profitabler / ... als pausieren und erholen. Der Tag wird höher bewertet als die Nacht, der Sommer höher als der Winter und die Jugend höher als das Alter. Tun und Machen stehen im Vordergrund. Sein und ruhen stehen im Hintergrund.

(C) Uli Feichtinger, 2012
So verlangt es Mut von jeder und jedem einzelnen, zum eigenen Rhythmus zu stehen – denn zum eigenen Rhythmus gehört auf jeden Fall auch die (tendenziell abgewertete) Ruhezeit dazu. Und mit Ruhe meine ich Ruhe! Kein Handy, kein Email, kein Fernsehen, kein Internet, kein Radio, keine Musik. Sondern Ruhe. Auch wenn – ja wirklich! – auch wenn die Arbeit noch nicht fertig erledigt ist.

Folgende Fragen dienen dazu, dich näher an deinen eigenen Rhythmus zu bringen:
  •  Zu welcher Tageszeit fühle ich mich fit, wann fühle ich mich schlapp?
  • Wann bin ich wirklich hungrig? Unabhängig davon, wann "man" isst...
  • Wann bin ich wirklich müde? Unabhängig davon, wann "man" schläft...
  • Ist mir gerade eben nach Tätigkeit oder nach Ruhe?
  • Wieviel Ruhe brauche ich – wieviel Ruhe gönne ich mir?
  • Wann kann ich mir eine komplette Auszeit von allem nehmen? Und seien es nur 20 Minuten pro Tag...
  • Wieviel Zeit des Tages verbringe ich mit geistigen Tätigkeiten und wieviel mit handwerklichen?
  • Als Frau: Kann ich mir die Tage, für die ich meine nächste Monatsblutung erwarte, lockerer gestalten, damit ich mir mehr Ruhe gönnen kann?
  • Wann bin ich für andere erreichbar, wann nicht? Auf welchem Kanal?
  • Welche Hobbies genieße ich zu welcher Jahreszeit?
  • Wie verändert sich meine Ernährung mit der Jahreszeit?

Angelehnt an das Zitat aus dem Buch Kohelet, möchte ich für die heutige Zeit hinzufügen:

Tun hat seine Zeit, Sein hat seine Zeit
Leistung hat ihre Zeit, Ruhe hat ihre Zeit
Geschwindigkeit hat ihre Zeit, Langsamkeit hat ihre Zeit
Gemeinschaft hat ihre Zeit, Rückzug hat seine Zeit
Kommunikation hat ihre Zeit, Stille hat ihre Zeit
Planung hat ihre Zeit, Planlosigkeit hat ihre Zeit
Helligkeit hat ihre Zeit, Dunkelheit hat ihre Zeit
Kontrolle hat ihre Zeit, Vertrauen hat seine Zeit
Stehen hat seine Zeit, Liegen hat seine Zeit
Pflichterfüllung hat ihre Zeit, Seelebaumeln hat seine Zeit
Input hat seine Zeit, Output hat seine Zeit
Einatmen hat seine Zeit, Ausatmen hat seine Zeit

  • In welchem Verhältnis lebst du diese Qualitäten?
  • Ist es ein Verhältnis, das dir gut tut?
  • Wenn nein: Wovon möchtest du mehr in dein Leben holen, um deine Lebensqualität zu erhöhen? 
  • Wie machst du es?
  • Und: Wann steht was an?

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